Donnerstag, 22. April 2021

Pause

Erstmal ...

Der Anfangsbuchstabe im Stadtnamen.
E wie Eschershausen

ein ein- und innehalten.

Aus der Sammlung mit 7 Erzählungen.
Postkarte des Literaturmuseums
Braunschweig, Leonhardtstraße 29,
welches hiermit zum Besuch empfohlen wird.
Zitat aus: Drei Federn, 1865.
 

Innerhalb Raabes - auch immer noch aus heutiger Sicht - sich ringelnden Sätzen und langen Gedankengängen, die durchaus nicht zur Geschichte, sondern wohl eher zum Willi selber und seiner Zeit gehören, finden sich die der Seele so wohltuenden Oasen an lichten, warm strahlenden Sätzen, die sein Werk schließlich doch bis heute lesenswert erhalten:

"Man richtet mit einem fröhlichen Herzen doch am meisten in dieser trübseligen Welt aus."

-.-

Freitag, 16. April 2021

Raabe und die bösen Geister.

  Auf einer der höchsten Höhen Tivolis saßen, an einige Felstrümmer gelehnt, zwei Fremde, ein Mann und eine schwarzgekleidete, tiefverschleierte Dame. Zur Linken über dem Wassersturz erhob sich jenes köstliche Kleinod der Zeit des Augustus, der Tempel der Vesta; zur Rechten flog der Blick durch die Felsschlucht über die dufterfüllte Campagna hin bis zum fernsten Horizont, wo die Kuppel der größten Kirche der Christenheit, des Doms von Sankt Peter, in der Nachmittagssonne funkelte. - Hier war es, wo die Sängerin Alida dem Doktor Hagen die Leiden ihres kleinen Lebens erzählte. - Mit Bedacht hatte sie der Doktor auf diese wundervolle Stelle geführt: Einem solchen Blick gegenüber kann sich wohl das gepreßteste Herz erweitern, die verschlossenste Brust sich öffnen! 

„Sehen Sie, Alida, wie schön, wie ruhig das in seiner Wildheit ist!“, sagte der Arzt. „O“, seufzte die Angeredete, „nennen Sie mich nicht Alida; nennen Sie mich Lida, nennen Sie mich Lida Mayer, wie ich einst hieß – einst, als ich noch nicht so - unglücklich war!“ Der Doktor entfernte sich einige Schritte, um eine aus einer Felsspalte wuchernde Distel vorsichtig abzubrechen. Dann kam er damit zurück und reichte, nachdem er mit dem Messer die Stacheln abgestreift hatte, die schöne, blutrote Blume seiner Begleiterin. „Das ist eine prächtige Blüte“, sagte er, die Künstlerin ernst ansehend. „Nicht wahr, Lida Mayer? - Da wuchern im Leben solche verräterischen Gewächse, die uns anlocken durch Farbenpracht und Duft. Alida, wir törichten Menschenkinder greifen dann darnach und verwunden uns an den tückischen Stacheln. Können Sie mir nicht sagen, Lida, was für eine Blume es war, an der Sie sich geritzt haben? . . . Lassen sich die Stacheln nicht wieder aus der Seele entfernen?“ 

Die Gefragte senkte den Kopf. „Ich bin allein in der Welt“, flüsterte sie leise. „Sie haben mich, die Unbekannte, gerettet aus der Verzweiflung der letzten, schrecklichen Tage, Sie wollen es dulden, daß ich mich wie eine Schiffbrüchige an Sie anklammere . . . ich will Ihnen alles erzählen - was ich von mir weiß. Haben Sie Geduld mit mir: ich bin wie eine Traumwandlerin, die plötzlich angerufen worden ist, . . . ich . . . Doktor . . .“ Zusammenschauernd hauchte die Künstlerin noch einige Worte, die dem Arzt, so aufmerksam er auch lauschte, doch verloren gingen. 

Böser Geist in Indonesien: Langsuyar.

„Sehen Sie, Lida“, sagte er. „Dort liegt die Campagna, die wir heute morgen durchfuhren, wie ein leeres, ödes, ausgebranntes Menschenherz. Die Adonisfeier des Lebens ist verstummt mit ihrem Jubel, ihrer Klage - Lida, Lida, ich habe Menschen gekannt, deren Inneres diesem unendlichen Trümmermeer glich - Lida, das ist ein furchtbarer Gedanke - hüten Sie sich, Lida, daß das Evan-EvoË Ihres Seins nicht in einem solchen unnennbaren Mißklang verhalle! - Sie sind stolz - Sie glauben, es sei das Mitleid, das, was die Welt Mitleid nennt, was mich zu Ihnen hinziehe : Lida, ich begreife nicht allein den gekreuzigten Menschheitsversöhner, ich begreife auch den Schächer zur Linken - was die Welt Mitleid nennt, habe ich verlernt, lange, lange verlernt! Sprechen Sie, Lida! Nicht allein jene trümmerbedachte Ferne ist Weltgeschichte: auch diese Blume, die ich Ihnen in die Hand gab, gehört dazu wie diese Worte, welche ich zu Ihnen rede, wie dieser Stein, welchen ich hier in den Abgrund stoße, wie mein Leben, wie das Ihrige! Sprechen Sie; wenn Sie es verlangen, will ich kniend lauschen!“ Während dieser Worte hatte sich Lida langsam erhoben und den Schleier zurückgeschlagen. Bleich, mit zitternden Lippen, faßte sie die Hände des Doktors. Wie eine Priesterin des Tempels über ihnen stand sie da. „Ich danke Ihnen, ich danke Ihnen! Ja, ich bin wild, ich bin stolz; aber - jetzt kann ich sprechen! ...

Es geht weiter in "Ein Frühling" - Sechstes Kapitel.

- ENDE -

Donnerstag, 15. April 2021

Zeichen für Kultur – Porzellan: Rabe als Schlaumatz

Corvinus – der kleine Rabe

Diese Porzellanfigur wurde von Alexander Struck (*1902 +1990) für die staatliche Porzellanmanufaktur Meissen entworfen. Im Alter von 15 Jahren besuchte Struck die Zeichenschule, wirkte dann mehr als 50 Jahre und steht für einige Klassiker der Firma Meissen.
Der Rabe bekam den Spitznamen „Schlaumatz“, wurde in handlicher Größe von 10 cm Höhe hergestellt und war ein Publikumsliebling.

So wie Wilhelm Raabe gerne mit seinem lateinischen Namen spielte, mag dieses Rabenmodell auch für die Facetten des Dichters herhalten: Es gibt ihn in verschiedenen Haltungsmotiven: mal verschmitzt, frech, herausfordernd, hochnäsig, verspielt, listig oder mal mit Brille, mit Nuss, anstelle reinweiß auch zartfarbig angehübscht.

Welche Eigenschaften dichten Sie ihm an?

Ende.

Sonntag, 11. April 2021

Gegen Drangsal und Philistertum 1872

Innerhalb einer grotesken Liebesgeschichte,

in der Raabe einen Teil seiner achtjährigen Erfahrungen im Schwabenland verarbeitet, teilt er wieder einmal kräftig gegen das Duckmäusertum und den seit Jahrzehnten in Blüte stehenden Obrigkeitsstaat aus. 

... Sie [Miß Christabel Eddish] blätterte sich mit ganzer Seele hinein, und das war kein Wunder! Wer würde ein von einem Gespenst zwischen Tür und Angel auf der Flucht verlorenes Reisehandbuch mit geisterhaften Randglossen aus der Nachtseite der Natur heraus nicht mit zitternder, atemloser, atemanhaltender Spannung durchblättern? 

Leider wahrscheinlich sehr viele unserer braven Landsgenossen! Drei Viertel der deutschen Nation würden unbedingt ihren Fund getreulich der Polizei überliefern und es ruhig abwarten, wie diese darüber verfügen werde. Gewissermaßen können wir diese drei Viertel unseres Volkes auch nur darum loben; denn nicht alles, was ein Geist verliert, paßt in das intellektuelle Verständnis des Finders und ist noch weniger geeignet, im allgemeinen Bewußtsein sich zu verbreiten. Das wäre freilich etwas Schönes — und ein ärgerlich Ding für Staat und Kirche, wenn ein jeglicher das, was die Geister auf ihren Wegen bei Tag und Nacht verlieren oder gar von sich werfen und um sich umherstreuen, sich aneignen und ohne Bewilligung höhern Ortes ruhig behalten dürfte! Malen wir uns dieses ja nicht weiter aus, sondern halten wir uns ruhig an die althergebrachte und durch die Jahrtausende erprobte Weisheit unserer Konsistorien, medizinischen und juristischen Oberkollegien, Hoftheaterintendanturen, akademischen Senate und so weiter! 

Nüchterne Erkenntnis von Martin Luther.
Zitat: Martin Luther

… und schleuderte das Buch mit unbeschreiblicher Energie hinaus aus dem Wagenfenster, weit hinaus auf den Karlsplatz und einem den Platz gerade überschreitenden, an nichts denkenden deutschen Poeten und Ritter des Maximiliansordens gerade vor den Magen. Der Chevalier, fast zu Boden gestreckt durch den vollkräftigen Wurf, drehte sich dreimal, den Dichter in sich natürlich mit sich herumreißend, um seine eigene Achse, griff mit beiden Händen nach dem Leibe und starrte — starrte — starrte, bis es zu spät war, die Droschke einzuholen und um Aufklärung zu bitten. 

… Noch zehn Minuten nachher stand er denn auch, und zwar nicht in der Stellung, in welcher er dermaleinst in Erz gegossen zu werden wünschte, und blickte das rote Buch zu seinen Füßen scheu zögernd an. Zuletzt wagte er es, das Ding aufzuheben; aber er ging sehr vorsichtig dabei zu Werke — fast ebenso vorsichtig wie vorhin Miß Christabel Eddish am Sockel der Bavaria. Ob er es der Polizei ablieferte oder es mit sich nach Hause nahm, können wir nicht sagen, sind jedoch nach unsern vorhin eingeschobenen Bemerkungen über gefundene Sachen innigst überzeugt, daß er es ablieferte und es erst dann poetisch verwertete, wenn es ihm durch sämtliche im Laufe der Zeit historisch-politisch gewordenen staatlichen und kirchlichen Behörden dintenflüssig gemacht worden war. 

Aus: Christoph Pechlin. 

Das achte Kapitel.

Ende.

Donnerstag, 8. April 2021

Welche Göttin ist die Flüchtigste?

 Die Antwort Raabes darauf

ist eine originelle, vergleichend wertende:

„Wenn die Selbstüberwindung das Höchste ist, was der Mensch in ethischer Beziehung erreichen kann, so ist die Gelassenheit, die absolute Gelassenheit, eine sehr hohe Stufe der Leiter, von welcher der Mensch auf das Weltgewirr hinabsieht.“

Uralt - göttlich - weiblich.
Göttin Epona.
Wikimedia. Owen Cook.

„Die mächtige Göttin Gelassenheit entfaltete ihre Flügel und entfloh. Sie, die flüchtigste aller Göttinnen – flüchtiger selbst als das Glück, die Jugend und die Schönheit –, zeigte sich auch als die undankbarste. Sie entschwand, ohne die geringste Rücksicht auf die vielen angenehmen Leidenschaften zu nehmen, welche ich ihr mühselig zum Opfer gebracht hatte!“

Drei Federn.

Ende.

Donnerstag, 1. April 2021

Zeichen für Kultur – Porzellan: Rabe auf Raabe

Corvus – der Rabe.


Wilhelm Raabe selbst hat sich anfangs mit Pseudonym Jacob Corvinus = kleiner Rabe bezeichnet. Dieses Wortspiel lag ja nahe und es mag ihn immer wieder gefreut haben, diese Spiellust mit Namen in seinen Romanen auszuleben, wobei über die Zeit drollige und tiefsinnige Kreaturen herausgekommen sind.

Zu den Höhepunkten der 175 Jahrfeier im Jahr 2006 erdacht, wurde bereits zum Weihnachtsgeschäft 2005 eine den Schriftsteller großartig treffende Skulptur aus Porzellan erzeugt. Es ist ein Rabe, feststehend auf einem dicken Buch. Womöglich war der Gedanke, das Buch des Lebens Raabes oder eben den Schriftstellergedanken zu visualisieren – auf jeden Fall ist es eine super Idee des Porzellangestalters.
Ein Rabe auf Raabes Werk - ein schönes Porzellanmotiv.
Ein Rabe auf Raabes Werk. ML 2020.

Neben dem normalen Modell gab es das Motiv auch als Ehrengabe der Stadt Eschershausen mit zusätzlichem Schriftzug.

Der Rabe ist ja seit Hunin und Bunin ein sagenhaftes Wesen. Dieses kleine Video mit künstlerisch verfremdeter Ansicht unterstreicht sein rätselhaftes Wesen.



Ende.

Donnerstag, 25. März 2021

Raabe verstehen geht über Eck.

Raabes Texte sind häufig schwierig -

für unsere heutigen Lese und Denkgewohnheiten .

Hier ein besonders hübsches Zitat aus „Drei Federn“. 

In diesem Abschnitt macht seine Figur des Juristen Hahnemann (was für ein guter, weil zu seiner Rolle passender Name) einen Lebensrückblick, sagt und deutet an

„Es gab eine Zeit, wo ich mit großem Eifer das trieb, was die Millionen „Politik“ nennen; ich nannte es Philosophie der Geschichte, um dem Dinge ein erhabeneres Ansehen zu geben, und der Name tat hier wie überall das meiste zur Sache. 

Es gab eine Zeit, wo ich die Geschicke der Erde abwog wie ein auswärtiger Minister der deutschen Mittelstaaten, wenngleich mit etwas weniger Bewusstsein meiner welthistorischen Bedeutung und Unentbehrlichkeit.

Es gab eine Zeit, wo ich meine geistige Schwermut und körperliche Krankheitsfurcht in alle jene kindisch-hohen Fragen an die Gottheit, aus welchen der unzufriedene Mensch sich so gern den Mantel seiner Weisheit zusammenschneidert, auflöste.“

Falls Sie das in einem Rutsch verstanden haben, ist dieser Teil des Raabe-Abiturs bestanden. :) 

Vieleck zum Kreis gemacht. Wikimedia.
Über Ecke gedacht wird es auch rund.


 Ende.

Donnerstag, 18. März 2021

Es ist leicht, Raabe schwierig zu finden.

Aus den zwei feurigen Anfangsartikeln vom Buch „Raabe und heute“ 

stammen diese kurzen Textausrisse zur Aufmunterung, sich die vollständigen Texte zu besorgen.  


Hubert Winkels 

Raabe ist schwer erträglich, aber nicht totzukriegen

Ein Meister hochkomplexer, selbstreflexiv ironischer Erzählstrategien, mit einem ornamental gedrechselten Stil und betulich gedehnten Tonfall. Es gab Staunen und Begeisterung über die Modernität Raabes einerseits, dann aber auch über seine sehr tief in Skepsis fundierte Menschenkenntnis; über die bürgerlich verkapselte Antibürgerlichkeit Raabes; und nicht zuletzt über das Genie der ausschweifenden und doch konzisen Prosaperiode. Raabe langsam und laut zu lesen ist fast immer ein Hochgenuss. In seiner reflexiven Erzähldramaturgie kann man sich verlieren. Und ob man etwas für sein Leben in der jetzigen Zeit mitnehmen kann aus der Lektüre, wie es eine problematische frühe Raabe—Rezeption nahegelegt hat? Ein Versuch gleichwohl: In der Form gebundene Zivilisationsskepsis und Geschichtspessimismus wären nicht allein ästhetische Angebote zum intellektuellen Genuss, sie könnten auch als fordernde Vorschule der Gelassenheit dienen. 


Moritz Baßler 

Man kann es sich in Raabes Welten nicht gemütlich machen. … 

Das Problem ist ja deutlich größer und betrifft keineswegs nur diesen speziellen Autor mit seinem besonderen Stil — es betrifft die Literatur des deutschsprachigen Realismus, ja einen Großteil unseres Kulturgutes insgesamt. Der Historiker Reinhart Koselleck prägte einst den Begriff der „Sattelzeit“ für eine Periode massiven historischen Wandels (er meinte: um 1800), hinter die wir nur noch mit besonderen Werkzeugen und besonderer Ausbildung zurückblicken können (Wie hinter einen Bergsattel), weil alles davor unserer „natürlichen“, also kulturell geprägten Intuition unzugänglich geworden ist. Dieser Sattel scheint sich derzeit massiv zu verschieben: Alles was nicht im Kontext unserer neuen Medien, des Fernsehens, Films, vor allem aber des World Wide Web seinen Ort bekommt, verliert seine kulturelle Selbstverständliehkeit, die es gerade eben — also etwa in meiner Schulzeit — doch noch hatte. Fragen Sie mal einen jungen Menschen nach Marilyn Monroe, geschweige denn Hölderlin — die kennen nur noch Nerds. Die poetischen Realisten, Storm, Keller, Fontane, kommen immerhin noch im Curriculum des Gymnasialunterrichts vor, nur waren sie just dort womöglich schon immer fehl am Platze. Um ihre Erzählungen schätzen zu können, muss man schließlich, wie bei Raabe, schon einmal entsagt haben im Leben — es handelt sich mit anderen Worten um das Gegenteil von Jugendliteratur; … 

Ende.

Samstag, 13. März 2021

Immobilienprobleme in Eschershausen

Erhaltet die wenigen Museen im Landkreis!

BevernKulturzentrum & Heimat

BodenwerderLiteratur Münchhausen

Grünenplan: Glas

HolzmindenPuppen & Heimat

Stadtoldendorf: Heimat (außer Betrieb), Freiluftmuseum Mühlenanger

EschershausenLiteratur Wilhelm Raabe, Motorrad (Wickensen).

In Hannover, Braunschweig, Göttingen, Paderborn, Hildesheim kann man keine 1000 Meter gehen, ohne ein Plakat für eine Kunstausstellung oder eine Kulturveranstaltung zu sehen.

Im Landkreis hinter dem Tunnel, genauer Eschershausen, werden Kultureinrichtungen lieber abgewickelt, anstatt entwickelt. Siehe hier die "weitere Immobilie in der Raabestraße". Ein Schelm, wer dabei an Raabestraße Nr. 10., das Rathaus denkt (und nicht an das Raabemuseum).

Ausriss aus dem Täglichen Anzeiger.

Paranoia im TAH vom 11. März 2021.
Entwicklung oder Abwicklung?
Wenn Altes nicht mehr trägt, ist es Zeit für Neues,
nur sollte dabei das Geistige nicht zu kurz kommen,
sonst droht die Wüstenei.

Ende.

Donnerstag, 11. März 2021

Zeichen für Kultur – Porzellan: Raabe als Standfigur

Raabe (fast) in Lebensgröße

Wilhelm Raabe war sehr bekannt dafür, häufig und gut zu Fuß unterwegs zu sein. Sicherlich auch, um seine Atembeschwerden zu lindern, war er im Umland Stuttgarts, im waldreichen Harz oder an der heilklimatischen Nordseeküste und der Insel Borkum unterwegs. Ein Foto zeigt ihn, wie er auf einem Wellenbrecher in Borkum spazieren geht. Dabei führt er den Regenschirm (heute noch original in Braunschweig zu sehen), der, zusammen mit dem lang geschnittenen Mantel, seine Körperlänge elegant unterstreicht.
Raabe auf einer Bune auf Borkum.
Spaziergang in Borkum 1902, 1903.
Zum 175 Geburtstagsjubiläum konnte die Porzellanfabrik Fürstenberg gewonnen werden, Ihre Kunst zur Verfügung zu stellen. Als Motiv wurde ein Gipsabbild der Person Raabes von Bildhauer Hans Bethmann, 1909, gewählt, dem vermutlich dieses Foto von 1902, 1903 zugrunde liegt.

Obwohl Raabe durchaus melancholisch, pessimistisch daher kam (siehe die erste Buchhälfte von „Die Akten des Vogelsang“) ist der auf dem Foto sichtbare gebeugte Gang eher den unegalen Steinen der Bune und dem Gegenwind geschuldet – daher wohl auch der fest aufgesetzte Hut.
Dieses Hintergrundwissen dürfte beim Betrachten der 30 Zentimeter hohen detailreichen porzellanen Statuette hilfreich sein.


Ein kurzer Eindruck: 


Ende.

Donnerstag, 4. März 2021

Übersetzen ist wählende Kreativität.

Anspruchsvolle Arbeit für jene, die ein Wörtchen mitzureden haben.

Ein Philologe oder ein Interpret kann ganze Bände mit seinen Einfällen und Gedanken füllen. Die Übersetzerin aber muss sich bei jedem Wort für eine Lösung entscheiden, gegen ein anderes Wort. Und welches Wort sie auch immer wählt: Es ist Ihre Entscheidung und sie muss verantwortet werden. 

"Das gilt auch Werke, die durch den Abstand der Zeit sich fremd ausnehmen. Fremd, aber alles andere als frei, denn der Übersetzer kann der schwierigen Geschichte des Werkes und seiner Wirkung nicht entgehen. So kann am Ende der Arbeit ein Text stehen, der etwas ist, was das Original nicht sein kann, nämlich eine Übertragung nicht nur in eine andere Sprache, sondern auch in eine andere Zeit. "

Vielleicht für die Zukunft: der telepathische Übersetzer aus „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams. 
Der telepatische Babelfisch, klein und gelb.
„Der Babelfisch ist klein, gelb,
lauchähnlich und womöglich
das seltsamste Ding im Universum.“

Übersetzungsleistung kann gar nicht genug wertgeschätzt werden. 

Gedanken aus SZ vom 18. März 2020.
Thomas Steinfeld über Luigi Reitani:
„Hölderlin. Gedanken über einen Dichter auf der Flucht.“
Folio Verlag, 108 Seiten.

Ende.

Donnerstag, 25. Februar 2021

Zeichen für Kultur: Porzellan

Stehrümmchen oder werthaltiges?



Als zur Mitte des 20. Jahrhunderts in der Stadt Eschershausen allgemein Wert auf Fremdenverkehr gelegt wurde, entstanden Wanderwege, Rasthütten, Sitzbänke, der Stauweiher mit Kinderspielplatz und Waldlehrpfad ... – was eben alles so zu einem staatlich anerkannten Erholungsort gehörte.

Es galt aber auch, den besonderen, kulturellen Fremdenverkehr zu bedienen. Dazu bot sich die Literatur Wilhelm Raabes und sein Geburtshaus an. Darum herum entstanden kleine Dinge, die als Andenken zu kaufen waren. So wie dieser kleine 6 x 6 cm messende Porzellanbehälter für Stifte etc. Recht üppig mit historisierenden Wappen und dem Dreiklang Raabe-Geburtsstadt-Eschershausen geschmückt. Er war wohl erhältlich 
bei Kaufmann Göhmann und Fotografin Wally Gottwald, beide im Steinweg. Dieses Exemplar kaufte man im Fachgeschäft beim Kaufmann Carl Kaese, gleich gegenüber vom Geburtshaus in der Raabestraße.
Stiftablage mit Stil: Porzellan ist farbig besonders schön!
Stilvolle Stiftablage. ML 2020.

Ende.

Donnerstag, 11. Februar 2021

Lingua & Cultura Studienreise

Die Märchen, die Sagen und Bildergeschichten unserer Kindheit

waren zu guten Teilen im Tal der oberen Weser, zwischen Reinhardswald, Solling und den Bückebergen zu Haus.

Eine Busrundreise im September 2020, geführt durch Daniel Leis M. A. (Kunsthistorik) und Prof. Dr. Hans-Jürgen Schrader (Literatur) mit Übernachtungen in Kassel, Beverungen, Bad Pyrmont, Oertzetal brachte eine rund zwanzigköpfige (durch die Corona-Pandemie in sich geschlossene) Gruppe, schließlich nach Eschershausen. 

Busreisen im Weserland
Die Reise zu Literatur/Kultur.

Die reiche, auf diesen Raum bezogene literarische Tradition, fanden Sie in Wilhelm Raabes („Höxter und Corvey“, „Das Odfeld“. Rings um AMELUNGSBORN, „Hastenbeck“ und um die braunschweigische Porzellanmanufaktur FÜRSTENBERG; die Heimat des „Lügenbarons“ von Münchhausen (BODENWERDER) und des Rattenfängers von HAMELN, Hoffmann von Fallersleben in CORVEY, Johann Gottfried Herder in BÜCKEBURG und – nahe des STEINHUDER MEERS – Wilhelm Busch in WIEDENSAHL („Max und Moritz“, „Fipps, der Affe“), schließlich: HEIDEHAUS Arno Schmidts („Das steinerne Herz“).

"Eine Reise der Entschleunigung, die Unendliches am Wege entdecken lässt und bleibende Eindrücke nach Hause mitgibt."

Am Raabemuseum.
Schrader & Reuther
Prof. Schrader,
 Museumsleiterin I. Reuther.

Das zentrale Herzstück, nämlich eines der ganz wenigen deutschen, einem Literaturschaffenden gewidmeten Museum, blieb leider geschlossen. Obwohl eine Museumsführung durch Herrn Schrader hätte durchgeführt werden können (Prof. Dr. Hans-Jürgen Schrader, 20 Jahre Lehrtätigkeit Univ. Göttingen. Emeritierter Ordinarius für deutsche Literatur Univ. Genf. Ehrenpräsident der Internat. Raabe-Gesellschaft, korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen) und obwohl die geschlossene Gruppe im leeren Museum wohl kaum jemanden hätte infizieren können. Es bleibt schon der Eindruck, dass die Verwaltung den Raabespruch nicht kannte, demzufolge gilt "Wehe dem, der überall das Lineal anlegt!", mithin also die gut begründete Abweichung von der Regel, diese Regel bestätigt. Hier hat Museumsleiterin Frau Reuther die Situation angenommen und zumindest das frei zugängliche Raabe-Standbild gezeigt. Die Reisenden waren am Ende voll des Lobes über die vielen gewonnenen Eindrücke und Wissenszuwächse. 

Raabe Standbild.
Bildung am
großen Standbild.


Zwei Charakterköpfe vor Ort.
Zwei - mal ohne
Maultäschle.









Lingua & Cultura Tours, Karolingerstr. 10, 55130 Mainz - www.lc.tours

Ende.

Donnerstag, 4. Februar 2021

Da geht die Freiheit dahin.


Nach den Karlsbader Beschlüssen wurde auch in Braunschweiger Landen Ernst gemacht = Zeitungsverbot!



Verordnungs-Sammlung.
Nro. 2.

Braunschweig, den 22. Februar 1820.
Verordnungssammlung Nr. 20. 1820 mit Zeitungsverbot.
Zeitungsverbot 1820.

(2.) Verordnung, wodurch der Debit des in Straßburg unter dem Namen des Elsasser Patrioten erscheinenden Zeitungsblattes verboten wird. D. D. Braunschweig, den 17ten Februar 1820.

GEORG der Vierte, von Gottes Gnaden König des vereinigten Reichs Großbritannien und Irland, auch des Königreichs Hannover, Herzog zu Braunschweig-Lüneburg ec. In vormundschaftlicher Regierung Unsers vielgeliebten Vetters, Herrn Carl, Herzogs zu Braunschweig-Lüneburg. ec.

Wir ersehen aus einer gedruckten Ankündigung, daß in Straßburg ein Zeitungsblatt, unter dem Namen des Elsasser Patrioten in Deutscher und Französischer Sprache erscheinen wird, dessen Zweck dergestalt als gegen die Deutsche Bundesversammlung und deren Beschlüsse gerichtet, mithin die bestehende Verfassung des Bandes zu gefährden, beabsichtigend sich darstellt, daß der Debit dieses Blattes in Gemäßheit der von Uns unterm 25sten
October v. J. zur Nachachtung bekannt gemachten Beschlusses der Bundesversammlung vom 20sten September v. J. nicht gestattet werden kann.

Verordnungssammlung Nr. 20. 1820, Zeitungsverbot S. 2.
Zeitungsverbot 1820. S. 2.
Wir untersagen demnach hiedurch ausdrücklich den Verkauf, die Vertheilung durch die Post und die sonstige Versendung des erwähnten Elsasser Patrioten (Patriote Alsacien), und haben sowohl die Fürstl. Postämter, als auch jeder andere, welchem dieses Blatt zu obigem Zwecke zugesandt werden möchte, davon, erstere durch die hiesige Postdirection bei Uns, letztere bei der Ortspolizeibehörde zu weiterer Verfügung Anzeige zu thun, die Polizeibehörden aber besonders darüber zu wachen, daß diesem Unsern Verbote zuwider etwa versuchter heimlicher Verbreitung dieses Blattes sofort Einhalt geschehe, und diejenigen, welche sich deren zu Schulden kommen lassen, deßhalb zur gebührenden Verantwortung gezogen werden: sämmtliche hiesige Landeseinwohner aber sich hienach gebührend zu achten.

Urkundlich Unserer Unterschrift und beigedruckten
Fürstl. Geheimen Canzlei-Siegels.

Braunschweig, den 17ten Februar 1820.

(L. S.)
Auf Allerhöchsten Special-Befehl
v. Schmidt-Phiseldeck. v. Schleinitz.



Verordnungs - Sammlung.
Nro. 10.
D. D. Braunschweig, den 5ten October 1820.

(10.) Verordnung, das Verbot des zu Sittard im Lüttichschen unter dem Titel „Recueil de nouvelles“ erscheinenden Zeitblattes betreffend. Braunschweig, den 25sten September 1820.
Verordnungssammlung Nr. 20. 1820. Recueil.
Zeitschriftverbot a

Wir GEORG der Vierte, von Gottes Gnaden König des vereinigten Reichs Großbritannien und Irland, auch König von Hannover, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg ec. In vormundschaftlicher Regierung Unsers vielgeliebten Vetters, Herrn Carl, Herzogs zu Braunschweig und Lüneburg. ec.

Verordnungssammlung Nr. 20. 1820. Recueil.
Zeitschriftverbot b
Eingegangenen Nachrichten zufolge erscheint zu Sittard im Lüttichschen eine, den Titel „Recueil de nouvelles“ führende periodische Schrift, deren Zweck, nach einer darin enthaltenen Aufforderung, mit auf den Abdruck und die Bekanntmachung solcher Schriften gerichtet ist, deren Verbreitung, zufolge des Beschlusses der Deutschen Bundesversammlung vom 20sten September v. J., in den Bundesstaaten verboten werden möchte.
Da nun der Debit des gedachten Zeitblattes bei dieser angekündigten Tendenz desselben in Gewissheit des Vorangezogenen, unterm 25sten October v. J. von uns zur Nachachtung bekannt gemachten Bundestagsbeschlusses, in den hiesigen Landen auf keine Weise gestattet werden kann, und Wir daher den Verkauf, die Versendung und die sonstige Verbreitung des erwähnten Recueil de nouvelles hiedurch ausdrücklich untersagen, so haben sämmtliche Landeseinwohner sich darnach auf das Genaueste zu achten, und wird zugleich den Polizeibehörden damit aufgegeben, mit aller Strenge darüber zu wachen, daß obigem Verbote in keiner Art zuwider gehandelt, eintretenden Falls vielmehr der Contravenient sofort zur Verantwortung und gebührenden Bestrafung gezogen werde; wie denn auch sowohl die Fürstl. Postämter, als ein Jeder andere, welchem das mehrgedachte Blatt zur Verbreitung zugesandt werden möchte, davon unverzüglich, erstere durch die hiesige Fürstl. Postdirection, letztere durch die Orts-Polizeibehörde, bei Uns zu weiterer Verfügung Anzeige zu machen hat.

Verordnungssammlung Nr. 20. 1820. Recueil.
Zeitschriftverbot c,
Urkundlich Unserer Unterschrift und beigedruckten 
Fürstl. Geheimen Canzlei-Siegels.

Braunschweig, den 25sten September 1820.

(L. S.)

Auf Allerhöchsten Special-Befehl
Graf-v. Alvensleben.
v. Schmidt-Phiseldeck. v. Schleinitz




Ende.

Donnerstag, 21. Januar 2021

Trübsinn bei Raabe - oder Leuchtkäfer?

Es ist eigentlich eine böse Zeit!

Das Lachen ist teuer geworden in der Welt, Stirnrunzeln und Seufzen gar wohlfeil.

So beginnt die Sperlingsgasse und dort, wie auch hier in den Drei Federn, findet unser Autor auf seine Weise höchst beruhigende Worte, nämlich: 

„Der Abend ist herangekommen!...
Wer aber erfahren hat, wie merkwürdig schwarz die Nacht
unter Umständen sein kann, der weiß auch,
welch ein Licht ein einziger Johanniskäfer in den Busch zu werfen vermag…“

Der Johanniskäfer in Praxis ist der Leuchtkäfer in den balsamischen Nächten am Ende des Juni zu St. Johannis – und er ist dort wirklich ein Lichtspender sondergleichen.

Hier im Roman ist der Käfer aber doch als Metapher für die eine, das Spiel verändernde Sache gemeint und somit ein Hinweis darauf, das es nur eines einzigen Dinges bedarf, um eine böse Zeit zu überwinden. 

Virusabild (Autoren: Frau Eckert, Herr Higgins).
Der aktuelle Virus im Abbild.
Erstellt von Eckert und Higgins.

In den bösen Zeiten des Virus kann so ein Satz die Seele doch erbauen, oder?

Ende.

Freitag, 15. Januar 2021

Lesen schützt das Hirn


Es lohnt sich, sein Gehirn frühzeitig und lebenslang durch Lektüre zu trainieren. 



Was, wenn Sie als Kind weder lesen noch schreiben gelernt zu haben?

Forscher führten an der Universität Columbia neuropsychologische Tests zu Gedächtnis, Sprache und visuellen Fähigkeiten mit knapp 1000 älteren Menschen durch. Gut 20% hatten erst spät mit lesen/schreiben begonnen.
Darstellung der Lage des Gehirns.
Zum Glück für uns von der Natur gut geschützt.

Am Studienbeginn hatte jeder dritte Analphabet eine Demenz (jeder fünfte Nichtanalphabet). 
Nach dreieinhalb Jahren war jeder zweite Analphabet an einer Demenz erkrankt und jeder dritte Nichtanalphabet. 
Die Analphabeten hatten demnach ein doppelt so hohes Risiko, während der Beobachtungszeit neu an einer Demenz zu erkranken. 
=> Lebenslanges Lesen und Schreiben stärkt offenbar die Hirnfunktion.

Aufgespießt aus der FAZ.
24. Dezember 2019.

Ende.

Freitag, 8. Januar 2021

Wo sammeln gefährlich wird.


Ein Datenschützer erzählt allen,„die nichts zu verbergen haben“, was alles möglich ist.


Auf den ersten Blick erschien es mir ein wenig absurd, dass ausgerechnet ich einen Beitrag zum Thema „Sammeln“ schreiben sollte, wo ich mich doch eher den ganzen Tag damit befasse, dass möglichst wenig gesammelt wird — zumindest, wenn es um Daten, noch genauer um personenbezogene Daten geht. Aber beim zweiten Nachdenken wurde mir klar, dass es eigentlich ja um zwei Seiten einer Medaille geht. So wie sich Kunst, Literatur und sonstige Sachensammler um möglichst umfassende und vollständige Sammlungen ihrer Wunschobjekte bemühen, so wollen wir Datenschützer dafür sorgen, dass möglichst niemand — weder Behörde noch Unternehmen noch Person — ein vollständiges Bild eines anderen Menschen erlangen kann. Und dies nicht nur, weil es dessen Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (zer)stören würde, sondern vor allem, weil es diskriminierend, hinderlich und gefährlich werden kann, für Einzelperson und Gesellschaft.

Tariferhöhung, Jobverlust

„Ich habe nichts zu verbergen“, höre ich in diesem Zusammenhang oft, aber ist das wirklich so? Natürlich ist personalisierte Werbung in erster Linie nervig, aber die meisten von uns nehmen es noch hin, weil wir dafür ja „umsonst“ die Dienste von facebook, google und Co. in Anspruch nehmen dürfen. Etwas anders sähe es bei den meisten sicher schon aus, wenn uns unsere Kfz-Versicherung den Tarif erhöht, weil wir im letzten Jahr zu viel Alkohol gekauft haben, zu viele Punkte in Flensburg gesammelt haben oder zu häufig mit Ausfallerscheinungen beim Arzt oder im Krankenhaus waren. Wenn wir nicht zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden, weil aufgrund der von uns aufgerufenen Webseiten eine Depression angenommen wird oder wir bei sozialen Netzwerken zu oft die „falschen“ Seiten aufgerufen haben.

Das sind keine bösartigen Prophezeiungen, sondern ist alles längst möglich und passiert. Man muss sich nur die Pläne der chinesischen Regierung zur umfassenden und totalen Kontrolle über Internet, Videoüberwachung und soziale Kontrolle anschauen, um zu wissen, dass die von Orwell in 1984 beschriebenen Möglichkeiten zur Totalüberwachung der Bevölkerung längst Kinderkram im Vergleich zu den heutigen Technologien sind. Um das zu verhindern, brauchen wir den Datenschutz und die Datenschutzbehörden, die den Datensammlern auf die Finger schauen und kontrollieren, dass gesammelte Daten sachgerecht genutzt werden, gelöscht werden, wenn sie nicht mehr gebraucht werden, und nicht mit anderen Daten verbunden und zu sachfremden Zwecken missbraucht werden.

Die Sammlung der Gehstöcke Wilhelm Raabes in BS, Leonhardtstraße.
Sammlung der 
Gehstöcke W. Raabes. ML2018

Algorithmen entscheiden

Dies ist angesichts der immer weiter fortschreitenden Digitalisierung unserer Lebens- und Arbeitswelten eine echte Herausforderung, weil immer mehr Daten anfallen und diese zu immer neuen Sammlungen verbunden werden. Längst entscheiden nicht mehr nur Menschen darüber, wie, wo und wozu Daten genutzt werden. Immer öfter berechnen und bewerten Algorithmen, welche Nachrichten und Links uns in den Netzwerken erreichen, welche Bewerbungen für eine Stelle infrage kommen, welche Lieferung zuerst auf die Güterzüge geladen wird und welche Schlussfolgerungen über eine Person zu ziehen sind.
Um nicht missverstanden zu werden: Nicht alle Datensammlungen sind schädlich oder abzulehnen, im Gegenteil, gerade im Gesundheitswesen sind sie enorm hilfreich, in der Versorgungsforschung zum Beispiel. Es muss aber eben sichergestellt sein, das die dafür erhobenen und genutzten Daten anonymisiert oder verlässlich pseudonymisiert werden können.

Vielleicht zeigt sich gerade an dieser Stelle am besten, was Sammlungen so bedeutsam für den menschlichen Fortschritt macht. Fortschritt bedeuten Sammlungen, egal ob real oder digital, die dazu dienen, unseren Horizont zu erweitern, in dem wir aus Erfahrung, Anschauung und Historie lernen. Sie dienen der (Weiter)Entwicklung und dem menschlichen Fortschritt. Das zeigt aber auch deutlich, warum die Datensammelwut von sozialen Netzwerken und anderen Internetunternehmen ein Riegel, zumindest eine gute Kontrolle vorgeschoben werden muss: Die kommerzielle Nutzung von Daten anderer Menschen zur Gewinnmaximierung einiger Quasi-Monopolisten dient weder den Menschen noch dem Fortschritt.

Ulrich Kelber ist Bundesbeauftragter für den
Datenschutz und die Informationsfreiheit.
Ausriss aus Vier Viertel Kult.
SBK, Herbst 2019.

Ende.

Freitag, 1. Januar 2021

Die Wiedereinführung des Politoffiziers 1819 in Braunschweigischen Universitäten.


Studenten, die jenseits des Lehrplans nachdenken? Geht gar nicht!


Wegfall der Universitätssouveränität 1819, Seite 84.
König Georg regiert England, Irland,
Hannover, Braunschweig
und beweist 1819 seine Bündnistreue.

(14) Bekanntmachung des deutschen Bundestags-Beschlusses, die in Ansehung der Universitäten zu ergreifenden Maßregeln betreffend. D. D. Braunschweig,
den 25sten October 1819.

GEORG, von Gottes Gnaden, Prinz-Regent des vereinigten Königreich-Großbritannien und Irland, auch des Königreichs Hannover, Herzog zu Braunschweig-Lüneburg ec. In vormundschaftlicher Regierung Unsers vielgeliebten Vetters, Herrn Carl, Herzogs zu Braunschweig-Lüneburg. ec.

Demnach die Deutsche Bandes-Versammlung am
20sten September d. J. folgenden Beschluß genommen hat:

§. 1.
Es soll bei jeder Universität ein, mit zweckmäßigen Instructionen und ausgedehnten Befugnissen Versehener, am Orte der Universität residirender außerordentlicher landesherrlicher Bevollmächtigter, entweder in der Person des bisherigen Kurators, oder eines andern, von der Regierung dazu tüchtig befundenen Mannes, angestellt werden.
Das Amt dieses Bevollmächtigten soll seyn: über die strengste Vollziehung der bestehenden Gesetze und Disciplinnar-Vorschriften zu wachen; den Geist in welchem die akademischen Lehrer bei ihren öffentlichen und Privat-Vorträgen verfahren, sorgfältig zu beobachten, und demselben, jedoch ohne unmittelbare Einmischung in das Wissenschaftliche und die Lehrmethoden, eine heilsame, an die künftige Bestimmung der studirenden Jugend berechnete Richtung zu geben, endlich Allem, was zur Beförderung der Sittlichkeit, der guten Ordnung und des äußern Anstandes unter den Studirenden dienen kann, seine unausgesetzte Aufmerksamkeit zu widmen.
Das Verhältnis dieser außerordentlichen Bevollmächtigten zu den akademischen Senaten soll, so wie Alles, was auf die nähere Bestimmung ihres Wirkungskreises und ihrer Geschäftsführung Bezug hat, in den ihnen Von ihrer obersten Staatsbehörde zu ertheilenden Instruktionen, mit Rücksicht auf die Umstände, durch welche die Ernennung dieser Bevollmächtigten veranlaßt worden ist , so genau als möglich festgesetzt werden.

§. 2.
Wegfall der Universitätssouveränität 1819, Seite 85.
Seite 85.
Die Bundesregierungen verpflichten sich gegen einander, Universitäts- und andere öffentliche Lehrer, die durch erweisliche Abweichung von ihrer Pflicht, oder Ueberschreitung der Grenzen ihres Berufes, durch Mißbrauch ihres rechtmässigen Einflusses auf die Gemüther der Jugend, durch Verbreitung verderblicher, der öffentlichen Ordnung und Ruhe feindseliger, oder die Grundlagen der bestehenden Staatseinrichtungen untergrabender Lehren, ihre Unfähigkeit zu Verwaltung des ihnen anvertrauten wichtigen Amtes unverkennbar an den Tag gelegt haben, von den Universitäten und sonstigen Lehranstalten zu entfernen, ohne daß ihnen hierbei, so lange der gegenwärtige Beschluß in Wirksamkeit bleibt, und bis über diesen Punkt definitive Anordnungen ausgesprochen seyn werden, irgend ein Hindernis im Wege stehen könne. Jedoch soll eine Maaßregel dieser Art nie anders, als auf den vollständig motivierten Antrag des der Universität Vorgesetzten Regierungsbevollmächtigten, oder von demselben vorher eingeforderten Bericht, beschlossen werden. Ein aus solche Weise ausgeschlossener Lehrer darf in keinem andern Bundesstaate bei irgend einem öffentlichen Lehr-Institute wieder angestellt werden.

Wegfall der Universitätssouveränität 1819, Seite 86.
Seite 86.
§. 3.
Die seit langer Zeit bestehenden Gesetze gegen geheime oder nicht autorisirte Verbindungen aus den Universitäten sollen in ihrer ganzen Kraft und Strenge aufrecht erhalten, und insbesondere auf den seit einigen Jahren gestifteten unter dem Namen der allgemeinen Burschenschaft bekannten Verein um so bestimmter ausgedehnt werden, bis diesem Vereine die schlechterdings unzulässige Voraussetzung einer fortdauernden Gemeinschaft und Correspondenz zwischen den verschiedenen Universitäten zum Grunde liegt. Den Regierungs-Bevollmächtigten soll in Ansehung dieses Punctes eine vorzügliche Wachsamkeit zur Pflicht gemacht werden. Die Regierungen vereinigen sich darüber, daß Individuen, die nach Bekanntmachung des gegenwärtigen Beschlusses erweislich in geheimen, oder nicht autorisirten Verbindungen geblieben, oder in solche getreten sind, bei keinem öffentlichen Amte zugelassen werden sollen.
§. 4.
Kein Studirender, der durch einen von dem Regierungsbevollmächtigten bestätigten, oder auf dessen Antrag erfolgten Beschluß eines akademischen Senats von einer Universität verwiesen worden ist, oder der, um einem solchen Beschlusse zu entgehen, sich von der Universität entfernt hat, soll auf einer andern Universität zugelassen, auch überhaupt kein Studirender ohne ein befriedigendes Zeugniß seines Wohlverhaltens aus der von ihm verlassenen Universität, von irgend einer andern Universität ausgenommen werden.

Wegfall der Universitätssouveränität 1819, Seite 87.
Universitätssouveränität Adé.
So haben Wir solchen Beschluß hiedurch zur allgemeinen Kenntnis zu bringen keinen Anstand nehmen wollen, und vertrauen Wir zu denen an Universitäten sich befindenden hiesigen Landeskindern, daß sie durch ein vorsichtiges und richtiges Betragen und durch Vermeidung aller Theilnahme an geheimen oder nicht autorisierten Verbindungen, die im vorstehenden Beschlusse angedeuteten üblen Folgen vermeiden werden, welche, wenn selbige gegen sie zur Anwendung gebracht werden müßten, für ihre ganze Zukunft von dem nachtheiligsten Einflusse seyn würden. Wie Wir denn zum Ueberflusse noch die Eltern, Vormünder und Angehörigen gedachter Studirenden hiedurch besonders auffordern, sie auf den Inhalt der §§. 3 und 4 des Beschlusses zur reiflichsten Erwägung und Befolgung dringend aufmerksam zu machen.

Urkundlich Unserer Unterschrift und beigedruckten Fürstl. Geheimen Canzlei-Siegels.

Braunschweig, den 25 sten October 1819.
v. Schmidt-Phiseldeck. v. Schleinitz

Ende.